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Mitteilungspflicht im BEM-Verfahren

Im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) trifft den Arbeitgeber die Pflicht, den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinzuweisen. Die Darstellung der Ziele muss über die bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX hinausgehen. Es muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. 

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom  26.1.2021, AZ: 6 Sa 124/20 

Hintergrund und Begründung

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheits­bedingten Kündigung. Der Kläger hatte seit 2014 erhebliche Krankheitstage, die überwiegend auf Kurzerkrankungen beruhten, bei denen es sich nicht um Folgeerkrankungen handelte. Mit verschiedenen Einladungen lud die Beklagte den Kläger im Zeitraum von Ende 2015 bis Mitte 2018 zu Gesprächen über ein betriebliches Eingliederungs­management ein. Der Kläger bestritt die Einladungen erhalten zu haben und nahm keine Einladung wahr. Dem im Juni 2019 beim zuständigen Integrationsamt eingegangenen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung stimmte das Integrationsamt zu. Das Berufungs­gericht wies die gegen die stattgebende Kündigungs­schutzklage eingelegte Berufung der Beklagten zurück. Es führte aus, die ordentliche Kündigung sei unverhältnismäßig. Die Beklagte sei ihrer Pflicht aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht nachgekommen. Ein BEM-Verfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Dazu gehöre es, den Arbeitnehmer zuvor nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX auf die Ziele sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinzuweisen. Dem Arbeitnehmer müsse verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiter­beschäftigung gehe und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll. Daneben sei ein Hinweis auf Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich. Es müsse mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei Unterrichtung könne vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein. Habe der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, müsse er umfassend vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen Anpassung möglich gewesen seien. Zwar könne einem Bescheid des Integrationsamts nach § 168 SGB IX grundsätzlich dahingehend eine Indizwirkung zukommen, dass nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass ein Präventions­verfahren nach § 167 Abs. 1 die Kündigung hätte verhindern können. Darlegungs­erleichterungen aufgrund der Durchführung des Verfahrens vor dem Integrationsamt könnten der Beklagten hier aber nicht zugesprochen werden. Die Begründung des Zustimmungs­bescheids mache deutlich, dass kündigungs­rechtlich beachtliche Beschäftigung­salternativen im Verwaltungs­verfahren nicht hinreichend geprüft worden seien. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dazu umfassend vorzutragen. Dieser Verpflichtung sei sie nicht nachgekommen.

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